Archives 2019

  • Auf dem Jakobsweg durchs Burgund

    Blick auf Vezelay Foto: A. Rößler

    Pilgerpfade führen durch Weinberge und kleine Dörfer des Burgund

    Eine zweistündige Zugfahrt von Paris – schon landet man in einer anderen, dünn besiedelten Welt. Zwischen Weinbergen, Flüssen und Wäldern tauchen kleine Dörfer auf. Zum Wandern ist das Burgund, von den Einheimischen Bourgogne genannt, ideal.
    Zudem wandelt man auf historischen Pfaden, verläuft doch ein zentraler Abschnitt des Pilgerweges nach Santiago de Compostela hier entlang. Heute heißt die Strecke ganz pragmatisch „Fernwanderweg GR 654“. Wegweiser zeigen die gelbe Jakobsmuschel auf blauem Grund.

    Einst sammelten sich die Jakobspilger in dem Wallfahrtsort Vézelay, der zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Man verortete hier das Grab von Maria Magdalena, deren Reliquien noch heute in einem vergitterten Schrein ausgestellt sind. Noch immer zieht Vézelay zahlreiche Pilger an. Die übernachten aber nicht mehr in den Katakomben unter dem Kirchenschiff, sondern in Hotels, wie jenem, das in die ehemalige historische Poststation gezogen ist.
    Einst hatte Vézelay zehntausend Einwohner; heute leben hier gerade mal 700 Menschen. Geblieben sind das Gewirr der Gassen und eine trutzig wehrhafte Stadtkulisse mit Mauern, Türmen und Toren.

    Wir wandern auf den Spuren der von Norden kommenden Pilger nach Vézelay, das malerisch auf seinem „ewigen Hügel“ liegt. Wir durchqueren Weinberge und lichte Laubwälder, freuen uns über Schmetterlinge und Orchideen. Kleine Dörfer sind zu sehen, wo man überall ein Lokal zum Einkehren findet. Die deftige regionale Küche mit ihren erlesenen Weinen ist ein Grund mehr, sich auf den Weg zu machen.

    Blick auf Vézelay Foto: Alain Doire / Bourgogne-Franche-Comté Tourisme”

    Die Basilika von Vézelay thront weithin sichtbar auf einem langgestreckten Bergrücken; am Fuße des Morvan, Burgunds waldreichem Mittelgebirge. Nach dem Aufstieg lassen wir das stille Dorf Asquins hinter uns, spazieren durch die Felder, passieren am Hang ein kleines Kloster. Das letzte Stück geht es steil bergauf, vorbei an uralten Gartenmauern und Obstbäumen. Verschnaufen kann man an einer Quelle mit Wasserbecken, wo die Pilger einst ihre Kleider gewaschen haben. Oben auf dem Hochplateau führt eine schmale, steile Gasse durch den langgestreckten Ort zum Eingang der Basilika Sainte-Marie-Madeleine.
    Mehr als 900 Jahre hat die dreischiffige Basilika auf dem Buckel, ein Meisterwerk romanischer Baukunst, berühmt wegen der raffinierten Lichtgestaltung im Innern: Von der dämmrigen Vorkirche führt der Weg in den strahlend weißen, lichtdurchfluteten Chorraum; vorbei an reich verzierten Giebeln und Säulen. Ein paar Jahre lang war all das eine Großbaustelle. Doch jetzt geht die Generalsanierung dem Ende zu; nur noch die Westfassade und das Vorschiff sind eingerüstet.

    Nach der Kirchenbesichtigung genießen wir draußen auf der Terrasse den Panoramablick auf das Gebirgsmassiv des Morvan. Burgund gehörte zu den ersten Gebieten Galliens, wo sich christliche Gemeinschaften und Klöster bildeten. Im frühen 10. Jahrhundert ließen sich die Benediktiner in Cluny nieder. Sie gründeten die zeitweilig mächtigste Abtei des Abendlandes und unterstützten die burgundischen Herzöge finanziell und militärisch.
    Vézelay wurde zum Außenposten des rund 150 Kilometer weiter südlich gelegenen Cluny. Der Pilgerführer „Codex Calixtinus“ deklarierte Vézelay im 12. Jahrhundert zum Ausgangspunkt einer der vier Hauptrouten des Jakobsweges. Vor allem Pilger aus Mitteleuropa und Skandinavien sammelten sich hier.

    St. Lazare Avallon Foto: Rößler

    Jene Pilger, die von Osten nach Vézelay kamen, machten in Avallon Station, das majestätisch auf einem Granitfelsen thront. Von einer hohen Stadtmauer umgeben, hat sich Avallon sein mittelalterliches Erscheinungsbild bewahrt. Am Hang steht die romanische Stiftskirche St. Lazare.

    Pilger aus Norden wiederum kamen durch Auxerre. Wir folgen ihren Spuren auf dem bewaldeten Hochufer des Flusses Yonne. Im Zentrum des Städtchens flaniert „tout le monde“ an der als Park gestalteten Uferpromenade, vorbei an zahlreichen Hausbooten.
    Auxerre bietet eine spektakuläre Silhouette: Hinter der friedlich fließenden Yonne ragen drei Hügel mit Kirchbauten auf. Den Pilgern galt dieser Anblick als Symbol für die Dreifaltigkeit.
    Es handelt sich um die beiden gotischen Türme der Kathedrale Saint-Étienne und der Peterskirche. Daneben der romanische Kirchturm der Abtei Saint-Germain, deren Krypten am Hang übereinander liegen; hier findet man auch die ältesten, karolingischen Wandmalereien Frankreichs. Die Altstadt von Auxerre umfasst weitere Kirchen, historische Stadtvillen sowie rund 700 Fachwerkhäuser – eingedeckt mit den für Nordburgund typischen rotbraunen Flachziegeln.

    Auxerre Foto: Rößler

    Wenn abends nach dem Wandern die Füße schmerzen, entspannt man sich am besten bei einem Glas Wein von den Lagen des Burgund, die 2015 zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Die Bandbreite ist groß, da sich auf den kleinen Parzellen Ton und Kalk vielfältig mischen. Als zünftige Pilger entscheiden wir uns natürlich für einen Tropfen aus der Appellation Vézelay.

    Antje Rößler

    Weitere Infos unter: www.bourgognefranchecomte.com

    Die Reise wurde unterstützt vom Tourismusamt Burgund-Franche-Comté

  • Musik in mediterraner Berglandschaft

    Tourettes in der Abendsonne Foto: Jungwirth

    Das Festival Quatuors à Cordes im Hinterland von Cannes bietet seit mehr als 30 Jahren hochkarätige Streichquartette in pittoresker Umgebung

    Von Robert Jungwirth

    (Provence, Mitte September 2019) Die Abendsonne taucht das Dorf Tourettes in ein Licht aus Gold und Kupfer. Die verschiedenen Grüntöne der Bäume, Sträucher und Hecken heben sich in schönstem Kontrast ab von den hell schimmernden Häusern und Dächern. Ein Anblick wie hingezaubert. Kaum zu glauben, dass das hier (fast) immer so aussieht. Wenn man durch die Gassen des Bergdorfs schlendert, von einem romantischen Winkel zum nächsten, ist man schon beseelt, noch bevor man den ersten Ton hört. In der Dorfkirche von Tourettes, einem schlichten alten Gemäuer, in dem es auch im September abends nicht kalt wird, beginnt gleich ein Konzert mit dem Quatuor Enescu. Dvorak, Janacek und Enescu stehen auf dem Programm. Vor dem Eingang gibt es Eintrittskarten, Programmhefte und ein Gläschen Wein. Man plaudert und genießt den Blick auf die Häuser und Gässchen, den Wein und die Vorfreude auf das Konzert.

    Vor dem Konzert in Tourrettes Foto: Jungwirth

    In der Kirche entfesseln die vier Herren des Quatuor Enescu, dann vom ersten Ton an eine lebendig, klangsinnliche Atmosphäre, die die Zuhörer sogleich in ihren Bann schlägt. 40 Jahre spielen sie nun schon zusammen, die Verständigung klappt blind, aber nichts wirkt heruntergespult oder gar abgestanden. Im Gegenteil, die Frische und Vitalität ihres Ausdrucks, der temperamentvoll-zupackende Gestus ihrer Musikalität springt unmittelbar auf die Zuhörer über. Das Konzert ist, wie beinahe alle Konzerte des Festivals, hervorragend besucht. Die Quatuors à Cordes, die in diesem Jahr zum 31. Mal stattfinden, sind eine musikalische Institution im Hinterland der Cote d’Azur, und das Programm zeichnet sich nicht nur durch einige illustre Namen aus, sondern auch durch spannende und mitunter auch wagemutige Programme aus.

    Das Dorf Fayence von oben Foto: Jungwirth

    So präsentierte das noch junge, aber ebenfalls ganz hervorragende französische Béla-Quartett neben Werken von Schostakowitsch und Schulhoff auch eine Uraufführung des Italieners Marco Stroppa – ein hochexpressives, mitunter auch heftig zupackendes elfminütiges Werk, das vom Publikum am Ende heftig beklatscht wurde. Wie schön, dass beim Publikum zum Interesse auch noch Offenheit gegenüber Neuem kommt.
    Das erste Quartett von Erwin Schulhoff, 1924 komponiert, machte deutlich, wie interessant und begabt dieser 1942 in einem Lager der Nazis umgekommene Komponist war. Das Béla-Quartett spielte diese lebhaft-rhythmisierte, jazzige Komposition mit großer Hingabe und Impulsivität. Nicht minder beeindruckend war die Wiedergabe von Schostakowitschs Klavierquintett g-Moll aus dem Jahr 1940. Im Lento schwangen sich die durch den Pianisten Wilhem Latchoumia verstärkten Musiker zu einem wahrhaft ergreifenden hymnischen Gesang auf.

    Quatuor Modigliani Foto: Jungwirth

    Tags zuvor konnte man im Nachbardorf Seillans die mittlerweile zur Weltspitze zählenden Musiker des Quatuor Modigliani erleben mit Werken von Haydn, Webern, Korngold und Ravel. Schon in Haydns d-Moll-Quartett (op.76/2) wurde jedes Detail selbst im eher harmlosen Andante zum Ereignis, jede Nuance der Komposition war mit Klangsinn erfüllt. Korngolds Intermezzo von 1934 geriet zu einer richtigen Entdeckung, ein Werk, das kaum ein Ensemble im Repertoire hat, das aber doch mit einer eindrucksvollen Klangsprache zwischen Puccini, Schreker und Mahler überzeugen kann – von den vier Musikern mit intensivem Ausdruck interpretiert. Was selbstverständlich auch und gerade für Ravels F-Dur-Quartett gilt, das man sich in Sachen Prägnanz und vibrierender Leichtigkeit kau besser interpretiert vorstellen kann. Ein Ereignis in der Eglise Saint-Léger von Seillans.

    Neben Einheimischen aus der gesamten Region bis Nizza kommen auch viele Touristen zum Festival Quatuors à Cordes. Die Konzerte finden in den Bergdörfern des Departements Var statt, in Tourettes, Callian, Mons, Seillans oder Montaroux. Wie auf einer Schnur liegen die Dörfer an den Hügeln des Gebirges im Hinterland von Cannes in jeweils etwa einem Kilometer Entfernung voneinander. Vor oder nach den Konzerten kann man die französische Küche in den zahlreichen Restaurants genießen. Dabei können die Gartenlokale in Tourettes und Seillans einen Wettbewerb austragen, welches am idyllischsten gelegen ist. Dem Besucher ist daher dringend empfohlen, beide Lokale einmal aufzusuchen und sich bei einem schönen Essen in die Abendsonne hineinzuträumen.
    Wer von der allzu lärmigen Cote d’Azur in den Städten Nizza und Cannes genug hat, der mache sich auf nach Tourettes, Seillans und co. – ob mit oder ohne Festival.

    Informationen: Die Bergdörfer des Var liegen ca. eine Autostunde von Nizza entfernt Richtung Nordwesten.
    Informationen zum Festival, das Mitte September stattfindet gibt es unter: www.quatuor-fayence.com

    Allgemeine Informationen über die Gegend:
    www.visitvar.fr

    Übernachtungstipp:
    Chambre d’hôtes La Bégude du Pascouren
    74 chemin de la Bane – 83440 FAYENCE
    http://chambres-hotes-labegudedupascouren.fr

    Gastronomietipp:
    La pause tourrettane in Tourrettes
    Les Deux Rocs in Seillans

    Ausflugsempfehlung: Besichtigung der Galerie Fine Art Beddington in Bargemon – internationale Kunst in wunderschönen alten Räumen mit weitem Blick über die Landschaft.
    Das Ehepaar Guy and Michèle Beddington präsentiert sehr sorgfältig ausgewählte Künstler aus zahlreichen Ländern. Zur Zeit etwa die Deutsche Bettina Zapp.

    Bettina Zapp, Wild horses. Pigments and acrylic on canvas Foto: Galerie

    Die Reise wurde unterstützt von Tourismusbüro Var – www.visitvar.fr