Musik in mediterraner Berglandschaft

Tourettes in der Abendsonne Foto: Jungwirth

Das Festival Quatuors à Cordes im Hinterland von Cannes bietet seit mehr als 30 Jahren hochkarätige Streichquartette in pittoresker Umgebung

Von Robert Jungwirth

(Provence, Mitte September 2019) Die Abendsonne taucht das Dorf Tourettes in ein Licht aus Gold und Kupfer. Die verschiedenen Grüntöne der Bäume, Sträucher und Hecken heben sich in schönstem Kontrast ab von den hell schimmernden Häusern und Dächern. Ein Anblick wie hingezaubert. Kaum zu glauben, dass das hier (fast) immer so aussieht. Wenn man durch die Gassen des Bergdorfs schlendert, von einem romantischen Winkel zum nächsten, ist man schon beseelt, noch bevor man den ersten Ton hört. In der Dorfkirche von Tourettes, einem schlichten alten Gemäuer, in dem es auch im September abends nicht kalt wird, beginnt gleich ein Konzert mit dem Quatuor Enescu. Dvorak, Janacek und Enescu stehen auf dem Programm. Vor dem Eingang gibt es Eintrittskarten, Programmhefte und ein Gläschen Wein. Man plaudert und genießt den Blick auf die Häuser und Gässchen, den Wein und die Vorfreude auf das Konzert.

Vor dem Konzert in Tourrettes Foto: Jungwirth

In der Kirche entfesseln die vier Herren des Quatuor Enescu, dann vom ersten Ton an eine lebendig, klangsinnliche Atmosphäre, die die Zuhörer sogleich in ihren Bann schlägt. 40 Jahre spielen sie nun schon zusammen, die Verständigung klappt blind, aber nichts wirkt heruntergespult oder gar abgestanden. Im Gegenteil, die Frische und Vitalität ihres Ausdrucks, der temperamentvoll-zupackende Gestus ihrer Musikalität springt unmittelbar auf die Zuhörer über. Das Konzert ist, wie beinahe alle Konzerte des Festivals, hervorragend besucht. Die Quatuors à Cordes, die in diesem Jahr zum 31. Mal stattfinden, sind eine musikalische Institution im Hinterland der Cote d’Azur, und das Programm zeichnet sich nicht nur durch einige illustre Namen aus, sondern auch durch spannende und mitunter auch wagemutige Programme aus.

Das Dorf Fayence von oben Foto: Jungwirth

So präsentierte das noch junge, aber ebenfalls ganz hervorragende französische Béla-Quartett neben Werken von Schostakowitsch und Schulhoff auch eine Uraufführung des Italieners Marco Stroppa – ein hochexpressives, mitunter auch heftig zupackendes elfminütiges Werk, das vom Publikum am Ende heftig beklatscht wurde. Wie schön, dass beim Publikum zum Interesse auch noch Offenheit gegenüber Neuem kommt.
Das erste Quartett von Erwin Schulhoff, 1924 komponiert, machte deutlich, wie interessant und begabt dieser 1942 in einem Lager der Nazis umgekommene Komponist war. Das Béla-Quartett spielte diese lebhaft-rhythmisierte, jazzige Komposition mit großer Hingabe und Impulsivität. Nicht minder beeindruckend war die Wiedergabe von Schostakowitschs Klavierquintett g-Moll aus dem Jahr 1940. Im Lento schwangen sich die durch den Pianisten Wilhem Latchoumia verstärkten Musiker zu einem wahrhaft ergreifenden hymnischen Gesang auf.

Quatuor Modigliani Foto: Jungwirth

Tags zuvor konnte man im Nachbardorf Seillans die mittlerweile zur Weltspitze zählenden Musiker des Quatuor Modigliani erleben mit Werken von Haydn, Webern, Korngold und Ravel. Schon in Haydns d-Moll-Quartett (op.76/2) wurde jedes Detail selbst im eher harmlosen Andante zum Ereignis, jede Nuance der Komposition war mit Klangsinn erfüllt. Korngolds Intermezzo von 1934 geriet zu einer richtigen Entdeckung, ein Werk, das kaum ein Ensemble im Repertoire hat, das aber doch mit einer eindrucksvollen Klangsprache zwischen Puccini, Schreker und Mahler überzeugen kann – von den vier Musikern mit intensivem Ausdruck interpretiert. Was selbstverständlich auch und gerade für Ravels F-Dur-Quartett gilt, das man sich in Sachen Prägnanz und vibrierender Leichtigkeit kau besser interpretiert vorstellen kann. Ein Ereignis in der Eglise Saint-Léger von Seillans.

Neben Einheimischen aus der gesamten Region bis Nizza kommen auch viele Touristen zum Festival Quatuors à Cordes. Die Konzerte finden in den Bergdörfern des Departements Var statt, in Tourettes, Callian, Mons, Seillans oder Montaroux. Wie auf einer Schnur liegen die Dörfer an den Hügeln des Gebirges im Hinterland von Cannes in jeweils etwa einem Kilometer Entfernung voneinander. Vor oder nach den Konzerten kann man die französische Küche in den zahlreichen Restaurants genießen. Dabei können die Gartenlokale in Tourettes und Seillans einen Wettbewerb austragen, welches am idyllischsten gelegen ist. Dem Besucher ist daher dringend empfohlen, beide Lokale einmal aufzusuchen und sich bei einem schönen Essen in die Abendsonne hineinzuträumen.
Wer von der allzu lärmigen Cote d’Azur in den Städten Nizza und Cannes genug hat, der mache sich auf nach Tourettes, Seillans und co. – ob mit oder ohne Festival.

Informationen: Die Bergdörfer des Var liegen ca. eine Autostunde von Nizza entfernt Richtung Nordwesten.
Informationen zum Festival, das Mitte September stattfindet gibt es unter: www.quatuor-fayence.com

Allgemeine Informationen über die Gegend:
www.visitvar.fr

Übernachtungstipp:
Chambre d’hôtes La Bégude du Pascouren
74 chemin de la Bane – 83440 FAYENCE
http://chambres-hotes-labegudedupascouren.fr

Gastronomietipp:
La pause tourrettane in Tourrettes
Les Deux Rocs in Seillans

Ausflugsempfehlung: Besichtigung der Galerie Fine Art Beddington in Bargemon – internationale Kunst in wunderschönen alten Räumen mit weitem Blick über die Landschaft.
Das Ehepaar Guy and Michèle Beddington präsentiert sehr sorgfältig ausgewählte Künstler aus zahlreichen Ländern. Zur Zeit etwa die Deutsche Bettina Zapp.

Bettina Zapp, Wild horses. Pigments and acrylic on canvas Foto: Galerie

Die Reise wurde unterstützt von Tourismusbüro Var – www.visitvar.fr